In einem Gesprach mit fuhrenden Vertretern der EU stellte er am Freitag in Aussicht, dass der Paragraph des Strafgesetzbuches, nach dem Timoschenko gegenwartig wegen "Amtsmissbrauchs" in Kiew der Prozess gemacht wird, demnachst aus dem Strafgesetzbuch entfernt werden konnte. Das wurde nach Ansicht von Fachleuten nicht nur dazu fuhren, dass sie freikame. Ihr bliebe auch eine Vorstrafe erspart, so dass sie weiter bei Wahlen antreten konnte.
Frau Timoschenko wird von Janukowitschs Umgebung als erbitterte Feindin betrachtet, seit sie ihn im Jahr 2004 als Fuhrerin der demokratischen "Revolution in Orange" vorubergehend sturzte und danach mehrere Jahre selbst die ukrainische Regierung fuhrte. Nach Janukowitschs Ruckkehr an die Macht im Jahr 2010 wurde sie ebenso wie einige ihrer fruheren Minister vor Gericht gestellt und am 5.
August verhaftet. Der Westen hat dagegen mehrmals protestiert; fuhrende europaische Politiker haben zuletzt einhellig klargemacht, dass die Ratifizierung eines von der Ukraine dringend gewunschten Assoziierungsabkommens mit der EU in Gefahr sei, wenn der konstatierte Missbrauch der Justiz nicht aufhore. Zuletzt haben die Hohe Vertreterin der EU fur Außenpolitik, Catherine Ashton, und die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton Janukowitsch in einem gemeinsamen Brief geschrieben, die "politisch motivierten Prozesse", die gegenwartig in der Ukraine gegen Timoschenko und andere Oppositionspolitiker gefuhrt wurden, "unterhohlten" seine personliche "Reputation im Ausland".
Am Freitag hat Prasident Janukowitsch nun auf dem jahrlichen Forum der Stiftung "Yalta European Strategy" drei fuhrenden europaischen Politikern, dem Kommissar fur Erweiterung und
Nachbarschaftspolitik Stefan Fule, dem schwedischen Außenminister Carl Bildt und dem Europa-Abgeordneten Elmar Brok (CDU), in einem langen Gesprach in Aussicht gestellt, dass der Paragraph 365 des Strafgesetzbuches, auf dem die Anklage gegen Timoschenko beruht, demnachst abgeschafft werde. Der Prasident, der uber seine "Partei der Regionen" die Mehrheit im Parlament kontrolliert, durfte keine Schwierigkeiten haben, dieses Versprechen einzulosen. In Kiew sind erste Maßnahmen bereits im Gang. Kurz nach dem Protestbrief von Frau Ashton und Frau Clinton (und unmittelbar vor dem allgemein erwarteten Schuldspruch) hatte das Gericht, vor dem Timoschenko unter Anklage steht, in der vergangenen Woche die Verhandlung unterbrochen. Am vergangenen Mittwoch dann billigte der Justizausschuss des Parlaments einstimmig die Abschaffung des Paragraphen 365. Nun liegt die Entscheidung beim Plenum und zuletzt beim Prasidenten.
Die drei Vertreter der EU hatten zuvor noch einmal klargemacht, dass das beinahe zu Ende verhandelte "tiefe und umfassende" Freihandels- und Assoziationsabkommen der Ukraine mit der EU, das eigentlich im Dezember paraphiert werden soll, im Ratifizierungsprozess scheitern konne, wenn die ukrainische Fuhrung die Opposition weiter durch "politische Prozesse" verfolge. Fule hatte noch am Abend vor dem Treffen mit Janukowitsch gesagt, die EU sei bei den Schlussverhandlungen im uberaus umfangreichen Handelsteil des Abkommens zu manchen Zugestandnissen bereit, aber sie sei nicht willens, bei ihren fundamentalen Werten Kompromisse einzugehen. Brok sagte, dass alle Institutionen der EU in dieser Frage gemeinsam auftraten und es keine Chance gebe, sie gegeneinander auszuspielen. Wenn die Ukraine das Assoziationsabkommen wolle, musse Timoschenko freikommen und sie durfe auch nicht (etwa durch eine Vorstrafe) daran gehindert werden, am politischen Leben teilzunehmen. Das gelte auch fur andere Oppositionelle.
Dass Janukowitsch diesen Forderungen nun offenbar nachkommen will, hat nach Meinung der meisten Fachleute damit zu tun, dass seine "Schaukelpolitik" der letzten eineinhalb Jahre, mit welcher er Russland und den Westen gegeneinander auszuspielen versucht hat, in den letzten Monaten zusammengebrochen ist. Die Beziehung zu Russland, von dessen Gaslieferungen die Ukraine abhangig ist und von dem Kiew immer dringender einen Preisnachlass verlangt, ist in den letzten Monaten immer schlechter geworden. Moskau zeigt sich beim Gaspreis unerbittlich und fordert, vor irgendwelchen Rabatten musse Kiew zunachst seine europaischen Ambitionen aufgeben und stattdessen der Zollunion von Russland, Weißrussland und Kasachstan beitreten. Außerdem liegt die Moskauer Forderung auf dem Tisch, die staatlichen Gaskonzerne Gasprom (Russland) und Naftogas (Ukraine) zu verschmelzen - ein Manover, das aus Kiewer Sicht die "Russifizierung" der strategischen ukrainischen Gas-Transitleitungen zwischen Russland und Mitteleuropa nach sich ziehen und die Souveranitat der Ukraine schwachen konnte.
Ministerprasident Putin hat erst am Wochenende die Moskauer Linie wieder bestatigt. Im sudrussischen Sotschi legte er dar, dass seiner Ansicht nach die Annaherung der Ukraine an die EU "unrealistisch" sei und Kiew sich lieber Moskau zuwenden solle. Janukowitsch, der die russische
Haltung seinem Land gegenuber schon einmal als "demutigend" beschrieben hat und dessen personliches Verhaltnis zu Putin als miserabel gilt, hat im Gegenzug am Wochenende einer
Agenturmeldung zufolge gesagt, die Ukraine werde ihren Gasimport kunftig um funf Milliarden Kubikmeter jahrlich einschranken. Dies konnte den Liefervertragen mit Gasprom widersprechen, deren (allerdings aus Kiewer Sicht nicht ganz eindeutige) Bestimmungen eine jahrliche feste Mindestabnahme vorschreiben. 2009 hatte ein russisch-ukrainischer Gasstreit dazu gefuhrt, dass der Transit russischen Gases nach Europa unterbrochen wurde und mehrere Lander im Osten und Suden der EU mitten im Winter uber viele Tage ohne Gas blieben.
Regierungsvertreter in Kiew sagen, es sei nun fur die Ukraine wichtig, ein gutes Verhaltnis zur EU zu behalten; man habe verstanden, dass das "Problem" Timoschenko gelost werden musse. Nach Ansicht von Vertretern der Opposition kommt es nun darauf an, dass Janukowitsch sein Versprechen einlost. Die nachste Gelegenheit, das zu uberprufen, ist das Gipfeltreffen der "Ostlichen Partnerschaft" Ende September, wenn Janukowitsch in Warschau mit fuhrenden EU-Vertretern zusammentrifft.
Europaische Regierungsvertreter sagen, dieser Gipfel konne "unangenehm" werden, wenn bis dahin nichts geschehen sei. Der schwedische Außenminister Bildt wollte allerdings nach seinem Gesprach mit Janukowitsch in Jalta nur ganz allgemein sagen, welche Signale er konkret erwarte, um ein Scheitern zu vermeiden. "Die Ukraine hat ein Problem", sagte er lediglich, "und dieses Problem muss gelost werden." Zum Schluss fugte er noch hinzu: "Wenn du im Loch sitzt, hor auf zu graben und fang an, rauszuklettern."
Von Konrad Schuller
F.A.Z., Politik (Politik), Seite 6 - Ausgabe D2N, D3, D3N, R0, R1 - 958 Worter