Kiews rüder Umgang mit der Opposition verärgert Europa. Nun stellt die Gemeinschaft ein Handelsabkommen infrage
Der ukrainische Oligarch Viktor Pintschuk ist in diesen Tagen auffällig um einen optimistischen Auftritt bemüht. Pintschuk empfing auf einer von ihm gesponserten Konferenz in Jalta hochrangige Gäste aus ganz Europa und warb in großen Worten für sein Land. „Ich will, dass die Ukraine ein Tiger wird“, sagte der Stahlbaron, der sich in den vergangenen Jahren zu einem Philanthropen entwickelt hat. Das Land sei ein verlässlicher Partner der Europäischen Union.
In Wahrheit allerdings sind die Beziehungen zwischen der EU und dem großen östlichen Nachbarn auf einem Tiefpunkt angelangt. Die Prozesse gegen führende Oppositionspolitiker wie Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko haben in Brüssel Alarm ausgelöst. EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle wies in Jalta ausdrücklich darauf hin, dass die EU auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte pocht. „Diese europäischen Werte müssen im Alltag gelebt werden und sichtbar sein“, sagte Füle. Es war mehr als ein schön klingender Appell. Zusammen mit Schwedens Außenminister Carl Bildt und dem deutschen EU-Parlamentarier Elmar Brok hatte der Kommissar über zwei Stunden mit dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch hinter verschlossenen Türen gesprochen. Dabei sei das Staatsoberhaupt vor eine klare Wahl gestellt worden, hieß es: Das geplante Abkommen der EU mit der Ukraine, das unter anderem Handelserleichterungen vorsieht, werde nicht ratifiziert, wenn der derzeit vor Gericht stehenden und inhaftierten Oppositionspolitikerin Timoschenko die Möglichkeit verwehrt wird, an der Parlamentswahl im Herbst 2012 gleichberechtigt teilzunehmen. Auch aus Berlin kommt Druck. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Janukowitsch vergangene Woche am Telefon verdeutlicht, dass der politische Wettbewerb in freien Wahlen ausgetragen werden müsse und das Strafrecht nicht gegen den politischen Gegner instrumentalisiert werden dürfe.
Für Janukowitsch, der auch zu seinem östlichen Nachbarn Russland nicht mehr die besten Beziehungen unterhält, werden die Drohungen allmählich unangenehm. Die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens mit der EU, das Ende 2011 ratifiziert werden soll, ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung, weil die Industrie damit die Möglichkeit bekäme, ihre Produkte in den europäischen Riesenmarkt einzuführen. Dass mit dem EU-Abkommen aber auch die Akzeptanz europäischer Werte wie Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung unabhängiger Institutionen verbunden ist, hat die ukrainische Führung bisher nie sonderlich ernst genommen. Es wurden Oppositionelle drangsaliert, missliebige Nichtregierungsorganisationen unter Druck gesetzt und vieles von dem rückgängig gemacht, was der demokratische Umbruch von 2004 mit sich gebracht hatte. Nun holt das Versäumnis die Regierung ein. Janukowitsch braucht das Abkommen mit der EU auch deshalb, weil es dabei helfen könnte, seinen politischen Traum zu erfüllen – sein Land zu einem „Anführer in Osteuropa“ zu machen, wie er selbst erklärte. Geradezu euphorisch wurde Vizepremier Boris Kolesnikow, als er vom Vorbild Türkei schwärmte und deren wirtschaftliche Schlagkraft lobte. Gemeinsam, so Kolesnikow, könnten beide Staaten zu einem „China Europas“ werden – eine Vorstellung, die bei den Teilnehmern aus der EU eher ein gequältes Lächeln auslöste. Der Oligarch Pintschuk ließ sich von alldem kaum beeindrucken. Er hatte ein Riesengemälde in den Konferenzsaal hängen lassen, das von einem großen, lächelnden Tiger dominiert wird. Zumindest da zeigte die Ukraine echte Stärke.